In dieser Folge teilt PD Dr. med. Saif Afat, Geschäftsführender Oberarzt und Facharzt für Radiologie am Universitätsklinikum Tübingen, seine Einschätzung zu den Herausforderungen und Chancen der Radiologie der Zukunft. Wir freuen uns darauf, seine wertvollen Einblicke und Erfahrungen mit Ihnen zu teilen.
Lieber Saif, wo siehst du die Radiologie in 10 Jahren?
Die Radiologie wird in 10 Jahren weiterhin als technologische Vorreiterin in der Medizin agieren. Ich sehe sie in einer Vorbildfunktion für Kliniken und andere medizinische Fachbereiche. Wir werden noch stärker technologiegetrieben sein als heute, mit einer höheren Integration von Künstlicher Intelligenz und automatisierten Workflows in unserem Arbeitsalltag. Das wird uns ermöglichen, unsere Arbeit flexibler zu gestalten und Teilzeit- sowie Elternzeitmodelle besser umzusetzen zu können als in anderen Fachbereichen. Ein Traum von mir ist, dass wir in 10 Jahren eine größere Rolle im Bereich der personalisierten Medizin spielen. Unser Einfluss auf personalisierte Therapiestrategien und die medizinische Versorgung wird weiter zunehmen, sodass die Radiologie hier einen noch größeren Impact haben kann als derzeit.
Was sind deiner Meinung nach die Hindernisse für die Radiologie auf dem Weg hin zu deiner skizzierten Vision?
Ein großes Hindernis ist der administrative Aufwand in Kliniken, der durch zahlreiche bürokratische Prozesse und Dokumentationspflichten entsteht. Trotz der fortschreitenden Technologien wie etwa der Künstlicher Intelligenz sind noch immer veraltete Systeme wie Faxgeräte im Einsatz. Der gesamte Prozess von der Patientenaufnahme bis zur Therapie hat viele ineffiziente Schnittstellen, die oft noch Methoden aus den Neunzigern verwenden und die Effizienz stark beeinträchtigen. Diese administrativen Hürden und veralteten Arbeitsweisen verlangsamen die Abläufe erheblich. Die moderne Welt entwickelt sich rasant, wie man an der schnellen Evolution der Smartphones sieht, doch die Medizin, insbesondere die digitale Medizin, hinkt hinterher. Allein die Geschwindigkeit, mit der ein Befund freigegeben wird, kann nicht mit der Schnelligkeit des Versendens einer E-Mail verglichen werden. Diese kleinen, aber frustrierenden Verzögerungen summieren sich und bremsen den Fortschritt. Zudem sind viele KI-Tools schwer in bestehende PACS-Systeme zu integrieren, da verschiedene Plattformen und Anbieter oft nicht kompatibel sind. Wir leben in einer neuen Welt der Technologie, arbeiten aber noch in einer alten Welt der Bürokratie. Die Herausforderung besteht darin, diese alten Strukturen zu transformieren, um eine moderne, effiziente und fortschrittliche Radiologie zu ermöglichen.
Wie siehst du die Zukunft der Radiologie im Hinblick auf Künstliche Intelligenz (KI) und moderne Arbeitsmodelle? Welche Chancen und Herausforderungen gibt es dabei?
Die Radiologie wird durch KI deutlich gestärkt. Etwa 75% der von der FDA zugelassenen KI-Tools werden in der Radiologie eingesetzt, was unsere führende Position in der technologischen Entwicklung unterstreicht. Diese Vorreiterrolle bietet auch anderen Fachbereichen wertvolle Lernmöglichkeiten aus unseren Erfahrungen in der Digitalisierung. Ein zentraler Aspekt der Weiterentwicklung ist die Modernisierung der Infrastruktur. Viele KI-Tools nutzen Cloud-Processing, was zukunftsweisend ist. Zwar bleibt der Datenschutz eine wichtige Herausforderung, doch die Vorteile des Cloud-Processing sind klar erkennbar und bieten erhebliches Potenzial für Effizienzsteigerungen. Besonders bedeutsam ist die Integration von KI-Systemen in den klinischen Workflow. Das bringt nicht nur technologischen Fortschritt, sondern auch neue Möglichkeiten für flexible Arbeitsmodelle. Die Diagnostische Radiologie eignet sich hervorragend für flexible Arbeitszeiten und Teilzeitmodelle, was eine bessere Work-Life-Balance ermöglicht und den Beruf für viele attraktiver machen kann. Ein weiteres Beispiel ist die Studie mit Siemens, die gezeigt hat, dass durch KI-unterstützte Deep Learning Sequenzen die Zeit für MRT-Untersuchungen halbiert und bis zu 70% Strom gespart werden kann. Diese Effizienzsteigerungen könnten sogar eine Vier-Tage-Woche ermöglichen und die Arbeitsbelastung des Personals reduzieren, um hier nur ein paar Beispiele zu nennen. Zusammenfassend bin ich überzeugt, wird die Radiologie insgesamt durch KI und moderne Arbeitsmodelle erheblich profitieren und weiterhin eine führende Rolle in der technologischen Entwicklung spielen. Kliniken und Praxen können von diesen Innovationen lernen und sie adaptieren, um eine nachhaltigere und effizientere Arbeitsweise zu schaffen.
Was fasziniert dich täglich an deiner Arbeit und warum bist du Radiologe?
Um ehrlich zu sein, habe ich die Radiologie erst sehr spät im Studium für mich entdeckt. Während einer Famulatur dachte ich, Radiologie könne ich immer gebrauchen, egal welchen Weg ich einschlage. Was mich an der Radiologie fasziniert, ist die Rolle als essenzielle Schnittstelle in der Klinik. Wir sind nicht die Experten in der Chirurgie oder der Inneren Medizin, aber wir haben in jedem Bereich Kenntnisse und fungieren als wichtige Vermittler. Auch diese Rolle als Technologietreiber finde ich unglaublich spannend. Schon immer war ich technikaffin und hatte sogar überlegt, Computer Science zu studieren. Die Radiologie verbindet für mich Technik, kontinuierliche Entwicklung und Medizin. Obwohl ich erst seit 2015 berufstätig bin, habe ich viele Innovationen erlebt, die mich überrascht und begeistert haben. Ein Beispiel sind die Deep Learning Sequenzen, die ich anfangs skeptisch betrachtete, von denen ich aber mittlerweile überzeugt bin, dass sie bald zum klinischen Alltag gehören werden. Ein besonderes Highlight ist das bevorstehende Lungenkrebs-Screening, das einen enormen Mehrwert für die Patienten darstellt. Unser Fachgebiet entwickelt sich stetig weiter und spielt eine immer größere Rolle in der Medizin. Besonders beeindruckend finde ich die interventionelle Radiologie, wo wir mithilfe modernster Technologien erhebliche Fortschritte erzielen. Was mich immer wieder fasziniert, ist die Fähigkeit, in den menschlichen Körper zu schauen, ohne ihn aufzuschneiden. Kein anderes Fachgebiet kann das in diesem Maße. Ein praktisches Beispiel ist die CT-gesteuerte Biopsie: Bei Verdacht auf einen Tumor in der Leber gibt es die Möglichkeit einer großen Operation oder einer CT-gesteuerten Biopsie mit lokaler Betäubung. In 20 Minuten hat man Klarheit über den Befund, ohne Vollnarkose und große Narbe. Diese Präzision und Effizienz sind für mich die größten Faszinationen der Radiologie.
Wie siehst du die aktuellen Herausforderungen und Chancen dem Fachkräftemangel zu begegnen und welche Rolle spielen neue Arbeitsmodelle in diesem Kontext für dich?
Ich denke, Kliniken und Praxen könnten beispielsweise von euch lernen, dass mehr Flexibilität in der Arbeits-(zeit-)gestaltung für Radiolog:innen umsetzbar ist. Mit der Idee, die Nora eingebracht hat, habt ihr eine Art Vorzeigeprojekt oder Machbarkeitsstudie geschaffen, die zeigt, dass es möglich ist. Die Flexibilisierung der Arbeit, einschließlich der Möglichkeit, von zu Hause aus zu arbeiten, spielt eine wichtige Rolle, sicher nicht zuletzt in der Vereinbarkeit von Familie oder Privatleben und Beruf.
Als weitere Möglichkeit kann ich hier nochmal die bereits erwähnte große Studie heranziehen. Durch die Verkürzung der Untersuchungszeiten dauert eine Sequenz, die normalerweise 10 Minuten dauert, dauert jetzt nur noch 5 Minuten. Diese neuen Technologien sollten nicht als Bedrohung gesehen werden, sondern als Chance. Es gab Bedenken, dass beschleunigte Sequenzen zu einer höheren Arbeitsbelastung führen könnten, weil mehr Untersuchungen in kürzerer Zeit durchgeführt werden müssen. Aber wenn wir die Untersuchungen schneller erledigen, können wir die Arbeitsbelastung tatsächlich reduzieren. Dadurch könnte beispielsweise eine 4-Tage-Woche möglich werden, indem wir die MRT-Termine, die bisher an fünf Tagen durchgeführt wurden, auf vier Tage verteilen. Das würde die Belegschaft entlasten und die Arbeitsbedingungen verbessern.
Vielen herzlichen Dank an PD Dr. med. Saif Afat für die spannenden Einblicke, das inspirierende Interview und für deine Zeit, die du dir genommen hast, um diese mit uns zu teilen. Wir wünschen dir alles Gute und freuen uns schon besonders darauf, dich am RöKo 2026 als Kongresspräsident erleben zu dürfen - auch dafür wünschen wir viel Spaß und natürlich Erfolg.
Hier geht es zur ersten Folge Radiology Talks mit Prof. Dr. Peter Landwehr