In dieser Ausgabe teilt Prof. Dr. med. Peter Landwehr, langjähriger leitender Oberarzt an der Universitätsklinik Köln und seit 2001 Chefarzt und Leiter des DIAKOVERE Zentrums Radiologie in Hannover, seine Einschätzungen über die Herausforderungen und Chancen der Radiologie.
Herr Prof. Dr. Landwehr, was erwarten Sie von der Radiologie der Zukunft?
Meine größte Erwartung und Hoffnung ist, dass sich die Radiologie nicht zu einem „industriell“ arbeitenden Fach entwickelt. Die Radiologie ist eine hervorragend organisierte, patientenzentrierte Disziplin, die in gut strukturierten Arbeitsschritten operiert, sei es in kleineren oder größeren Aufgaben.
Das Risiko besteht gerade in der Radiologie darin, dass der Fokus zunehmend auf sogenannte Erfolgsparameter gelegt wird, die „Menge und Effizienz“ heißen, während dabei der klinische Wert – im amerikanischen Sinne von "Value Based" – aus dem Blickfeld verschwindet. Dies birgt ein hohes Risiko: Mengenausweitung und Arbeitsverdichtung sowohl in Krankenhäusern als auch in Praxen bei gleichzeitiger Verschlechterung unserer Arbeitsqualität.
Ich hoffe, dass die Radiologie sich immer mehr auf den klinischen Einfluss konzentriert, den unser Fach zweifellos hat. Andernfalls besteht die Gefahr, dass wir uns als Radiologinnen und Radiologen irgendwann durch die spannende Technik und die bald allgegenwärtige, insgesamt sehr sinnvolle Künstliche Intelligenz überflüssig machen, nur weil wir den Kern unserer Arbeit vernachlässigen und ihn anderen Disziplinen überlassen.
Um nicht missverstanden zu werden: Selbstverständlich müssen wir mit unseren Ressourcen effizient umgehen. Aber ohne klinische Effektivität nützt die effizienteste Radiologie nichts. Ich wünsche mir, dass Ökonomen und Gesundheitspolitiker endlich verstehen, dass eine „Value based“-Radiologie weit mehr gesamtökonomischen Impact hat als eine „Volume based“-Radiologie!
Sie haben jahrzehntelange Erfahrung und sicherlich auch mehrfach den Praxis-Check durchlebt. Was würden Sie sagen, wo steht die Radiologie in 10 Jahren realistisch betrachtet?
In 10 Jahren kann die Radiologie ein weiter emanzipiertes, selbstbewusstes, primär klinisches Fach sein, das vielfach erster Ansprechpartner und weit über die Dienstleister-Rolle hinausgewachsen ist. Wir müssen diese Rolle nur annehmen und aktiv gestalten! Erste formale Schritte sind auch bereits getan: In der Musterweiterbildungsordnung von 2018 wird die Radiologie erstmals als gleichberechtigtes klinisches Fach geführt, das wissen Viele noch gar nicht. Diese Entwicklung müssen wir jedoch täglich mit Inhalten füllen und dürfen nicht von „Radiologen auf der einen und von Klinikern auf der anderen Seite“ sprechen, das kommt fast einem Selbstmord auf Raten gleich. Wir sind Kliniker! Wenn wir das nicht leben, wird die Radiologie, wie wir sie kennen, irgendwann nicht mehr existieren.
Die Modalitäten, Fragestellungen und Untersuchungstechniken werden bleiben, aber als eigenständige, ausdifferenzierte Disziplin wird es die Radiologie in 10 Jahren nur noch geben, wenn sie sich als primär klinisches Fach versteht. Es ist ein Risiko, sich schwerpunktmäßig auf Technologie zu konzentrieren. Historisch haben wir vielfach erlebt, wie die Radiologie Technologien entwickelt und im klinischen Alltag etabliert hat, aber dann deren breite Nutzung und Weiterentwicklung anderen überlassen hat. Brandaktuelle Beispiele dafür sind die Kardio-Bildgebung, der bildgebende Ultraschall und bei den Interventionen die endovaskuläre Versorgung von Aortenaneurysmen, die zu oft aus der Radiologie in andere Fachbereiche abgeflossen sind. Als ich mit der Radiologie angefangen habe, wurden die Herzkatheter-Untersuchungen in der Radiologie durchgeführt. Warum haben wir das Feld aufgegeben? Passiert uns das jetzt mit den modernen Kardio-Methoden wieder? Wir müssen sicherstellen, dass klinisch getriebene Innovationen auch in der Radiologie verbleiben und weiterentwickelt werden.
Es ist entscheidend, dass wir uns nicht nur als technologische Vorreiter sehen, sondern auch unsere klinische Kompetenz weiterentwickeln und als kommunikationsstarke Ansprechpartner in der Klinik agieren. Die Demokratisierung der Bildgebung, bei der durch die Digitalisierung Untersuchungen quasi ubiquitär verfügbar sind, war eine revolutionäre Entwicklung, die die Medizin dramatisch verbessert hat. Doch wir dürfen uns nicht nur als technikaffine Bildermacher und Befundersteller verstehen und dabei den proaktiven Kontakt zu Patienten und anderen Fachbereichen meiden, ganz im Gegenteil!
Die Zukunft der Radiologie basiert nach meiner festen Überzeugung auf zwei Säulen: der hohen klinischen Kompetenz gepaart mit virtuosem Einsatz der bildgebenden Verfahren einerseits und der Interventionsradiologie andererseits. Nur so können wir echten klinischen Input liefern und die Radiologie nachhaltig als eigenständiges Fach erhalten. Wenn wir nicht selbstbewusst und auch streitbar klinisch präsent sind, besteht die Gefahr, dass Radiologinnen und Radiologen allenfalls noch als Mitglieder anderer Organteams arbeiten und die Radiologie dabei ihre Identität verliert. Wir müssen uns kontinuierlich anpassen und weiterentwickeln, um relevant zu bleiben.
Wenn wir in Ihren aktuellen Alltag blicken, was würden Sie sagen, sind die größten Störfaktoren, die Sie daran hindern, Ihre Erwartungen an die Zukunft umzusetzen?
Ein großer Störfaktor ist der kritische Mangel an MTRs (Medizinische Technolog/-innen für Radiologie). Anders als in der Pflege, wo vielfältige Spezialisierungen eingeführt wurden, hat man es bei den MTRs lange versäumt, attraktive Berufs- und Karrieremöglichkeiten zu schaffen. Dies führt zu einem Nachwuchsmangel, der die Radiologie stark beeinträchtigt. Ohne ausreichend MTRs können wir keine Bildgebung betreiben. Es gibt Radiologen, die ihre MRTs zeitweise nicht betreiben können, weil sie keine MTRs finden.
Ein weiterer Störfaktor ist die immer noch zu strikte Trennung zwischen ambulantem und stationärem Sektor. Diese Sektorentrennung führt zu unnötigem Ressourcenverbrauch, zu ineffizienter und auch klinisch oft unzureichender Versorgung der Patienten. Zudem wird der Fokus wie schon einmal erwähnt gerade im ambulanten Setting zu sehr auf die Menge statt auf den klinischen Wert unserer Arbeit gelegt. Es geht immer mehr nach dem „Hamsterrad-Prinzip“ darum, den Durchsatz pro Person und Gerät zu optimieren, anstatt den tatsächlichen Nutzen für die Patientinnen und Patienten mit hohem Qualitätsanspruch zu berücksichtigen. Ich bin davon überzeugt, dass im ambulanten Bereich eine relevante Anzahl durchgeführter Untersuchungen nicht wirklich sinnvoll ist. Das System setzt falsche Anreize und belohnt klinischen Impact nicht, der auch mal daraus bestehen kann, eine Untersuchung nicht durchzuführen. Diese durch die Menge angetriebene Herangehensweise lenkt vom Wesentlichen ab, hemmt die Qualität unserer eigentlichen Arbeit und höhlt am Ende die Radiologie von innen aus.
Zum Abschluss noch eine persönlichere Frage: Was fasziniert Sie persönlich an der Radiologie?
An der Radiologie fasziniert mich besonders das breite Spektrum an Erkrankungen, die wir sehen. Wir fungieren gerade im Krankenhaus als zentrale Schnittstelle, an der viele medizinische Expertinnen und Experten zusammenkommen und gemeinsam mit der Radiologie interdisziplinäre Konzepte schmieden, um das Beste für die Patienten zu erreichen. Wir bekommen in der Radiologie so einen umfassenden Überblick über die Patientinnen und Patienten und deren Erkrankungen. Diese vielfältige Rolle erfordert kontinuierliches Engagement, doch genau das macht die Radiologie so spannend. Meine Neugier treibt mich an, immer wieder den Wurzeln eines Problems auf den Grund zu gehen. Die Radiologie bietet mir die Werkzeuge und die Position, um genau das zu tun.
Ein weiterer Aspekt, der mich begeistert, ist die handwerkliche Freude an minimal-invasiven Interventionen, bei denen man direkten klinischen Erfolg erleben und persönliches Feedback von den Patienten erhalten kann. Dieses unmittelbare Dankeschön eines Patienten nach einer erfolgreichen Behandlung, sei es direkt ausgesprochen, sei es am klinischen Erfolg ableitbar, ist ein wichtiger Teil dessen, warum ich Arzt geworden bin.
Herzlichen Dank an Prof. Dr. med. Peter Landwehr für die offenen Worte und das Teilen seiner Einschätzung. Wir wünschen ihm für die verbleibende Zeit in seiner Position und für seinen bevorstehenden “Unruhestand” alles Gute, viel Erfolg und Erfüllung in seinen zukünftigen Unternehmungen.
Bildnachweis Portrait: Foto: Maren Kolf – 30900 Wedemark – www.fotografie-maren-kolf.de